Jacqueline Schweizer (45) aus Brunnen hat Krebs im Endstadium. Sie erzählt, wie sie mit ihrem schweren Schicksal umgeht. Und was ihr Hoffnung gibt.
„Ich kam mir vor wie beim Henker, der über mich richtet. Ich weinte und dachte: Scheisse, ich bin doch erst 43! Das kann nicht sein, das lasse ich nicht zu! Ich will noch leben!“ Jacqueline Schweizer erzählt von dem Augenblick, der ihrem Leben eine drastische Wende gab. Im Juni 2013 plagten die Servicefachfrau aus Brunnen kolikartige Schmerzen. Wegen Verdacht auf Gallensteine musste sie notfallmässig ins Spital Schwyz. Im Krankenhaus folge die schlimmste Nachricht, die sie je gehört hatte: „Es ist zu spät. Sie haben Darmkrebs im Endstadium sowie Metastasen auf der Leber und in den Lymphdrüsen. Wir können Ihnen nur noch lebensverlängernde Massnahmen anbieten“, lautete die niederschmetternde Diagnose. An die Stunden danach erinnert sich Jacqueline Schweizer nur noch in Bruchstücken. „Ich funktionierte nur noch. Ich fühlte mich wie in einem Hamsterrad, alles hat sich gedreht.“
Kampf oder Fall
Jacqueline Schweizer hat keine Mühe, über ihre Krankheit zu reden. Das Reden tut der zweifachen Mutter gut. Die letzten 2 Jahre waren nicht einfach, und doch hört man die 45-Jährige kaum einmal jammern. 47 Chemotherapien hat sie inzwischen hinter sich. Schmerzen, Übelkeit, Müdigkeit, Juckreiz und Verdauungsprobleme sind nur einige der vielen Begleiterscheinungen. Doch Jacqueline Schweizer ist stark. „Nach der Diagnose war für mich klar, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Entweder kämpfe ich und tue, was mir die Ärzte raten. Oder ich gebe mich auf und falle in ein tiefes Loch. Ich entschied mich, zu kämpfen“, sagt sie. Ihr ganzes Leben sei ein Kampf gewesen. „Ich hatte nicht viel von meinem Leben. Ich musste extrem viel arbeiten um als allein erziehende Mutter überleben zu können. Ich war noch nie richtig in den Ferien, ich habe immer nur geschuftet.“
Die ersten zwei Wochen im Spital Schwyz seien eine Achterbahn der Gefühle gewesen. Unruhe, Ängste und Wut hätten sie gequält. „Ich stand nachts oft auf der Terrasse, weinte und fluchte. Ich fragte Gott, warum er sich ausgerechnet mich für dieses Schicksal ausgesucht hat. Wenn es dich da oben gibt, dann schick mir ein Zeichen, warum du mir Krebs gegeben hast, forderte ich.“ Später, so erzählt die gebürtige Baselbieterin, habe sie realisiert, dass die Krankheit unter anderem dazu führte, dass sich ihre Familienäher gekommen sei. „Gott hat mir diese Krankheit gegeben, weil ich stark genug bin“, ist sie zudem überzeugt.
16 Kilos an Gewicht verloren
Der Krebs tauchte jedoch nicht von einem Tag auf den anderen auf, er kündigte sich mit einigen Zeichen an. Jacqueline Schweizer verlor 2012 plötzlich und unerwartet 16 Kilos an Körpergewicht. Sie litt zudem massiv unter Durchfall. Weil sie damals keine Schmerzen hatte, glaubte sie, dass Ärger und Stress die Ursache dafür seien. Doch es folgten weitere Vorboten. Für sie völlig überraschend und unlogisch war, dass sie plötzlich den Wunsch verspürte, ihren Ex-Mann und andere Menschen, die sie schon seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte, zu treffen. 3 Tage vor dem Spitaleintritt träumte sie von ihrem Tod: „Der Traum war sehr real. Ich lag mit einem Verband um den Kopf in einem Zimmer im Spital Schwyz. Meine Familie war da. Ich wusste, dass ich sterben werde. Und nur einen Tag später träumte ich von meiner Beerdigung“, berichtet die 45-Jährige. Sie habe gezittert und geschwitzt, als sie aufgewacht sei. Heute ist sie überzeugt, dass ihr Unbewusstsein bereits damals wusste, dass sie schwer krank war.
Wie aber lebt man mit der Diagnose, todkrank zu sein? Die Ungewissheit, wie lange sie noch leben darf und wie ihr Leben enden wird, beschäftigt die ehemalige Servicefachfrau. „Mir ist bewusst, dass es bei mir weder Heilung noch Hoffnung gibt. Ich werde nicht mehr gesund. Damit umzugehen ist für mich eine tägliche Auseinandersetzung mit meinen Gedanken und Gefühlen“, erklärt sie. Und doch würden immer wieder Bruchstücke von Hoffnung auftauchen, etwa, die Hochzeit ihrer Tochter erleben oder ein weiteres Grosskind in ihren Armen halten zu dürfen. Weil eine Freundin von ihr kürzlich nach langem Leiden an Krebs starb, kamen bei Jacqueline Schweizer neue, belastende Gedanken an die Oberfläche: „Mir wurde bewusst, dass es mir auch so ergehen kann“, sagt sie nachdenklich. Und meint: „Das möchte ich niemandem zumuten. Man kann in dieser Situation nichts machen, man fühlt sich extrem hilflos. Falls das auch auf mich zukommen wird, möchte ich niemanden mehr sehen“, glaubt sie.
Jacqueline Schweizer würde sich wünschen, dass sich die Bevölkerung bewusster damit auseinandersetzt, was Krebs ist. „Die meisten Menschen haben keine Ahnung, was es bedeutet, unter Krebs zu leiden. Sie befassen sich nicht damit, was wir Krebskranke alles durchmachen. Ich werde zwar oft gefragt, wie es mir geht, doch viele wollen meine Antwort gar nicht hören. Die Gesellschaft weiss nicht, wie wir uns fühlen.“
„Der Tod wird eine Erlösung sein“
Die Baselbieterin hofft, dass sie mindestens 50 Jahre alt wird. Angst vor ihrem Tod hat sie keine. „Früher hatte ich Panik vor dem Tod. Seit ich schwerkrank bin, hat sich das geändert. Denn der Tod wird auch eine Erlösung sein und mich von den Schmerzen befreien.“ Sie sei zwar keine Kirchgängerin, glaube aber an eine universelle Macht und an ein Leben nach dem Tod. „Ich glaube, dass der Tod ähnlich wie die Geburt ein Übergang zu etwas Neuem sein wird. Weil aber niemand weiss, was uns da drüben genau erwartet, machen ich mir keine Gedanken darüber. Viel wichtiger ist für mich, präsent im Augenblick zu sein und das, was ich noch erleben darf, zu geniessen.“